ARCHITEKTUR DER MODERNE - UND ÜBERHAUPT

Gehört qualitätvolle Architektur zu den grundsätzlichen Lebensbedürfnissen, wie die Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen behauptet? Wenn man sich so umsieht, wird deutlich, dass die Allgemeinheit dieses „grundsätzliche Lebensbedürfnis“ offenbar anders definiert, als wir Planer und Architekten das derzeit tun.
Gibt es einen „richtigen“ Architekturstil? Und kann er glücklich machen?
Der zwischen Architekten immer wieder aufflammende Streit um Flachdach oder Satteldach: sind wir im Lande Liliput, wo die Frage, ob ein Ei am dicken oder spitzen Ende aufgeschlagen wird, ein Kriegsgrund ist?
Und was ist gute Architektur? Ehrlichkeit, Einfachheit, Ökologie, Originalität, Kontext, Spektakel, Kodex......
Nach technischen Kriterien lässt sie sich beurteilen: im allgemeinen sollte ein Gebäude standfest, raumklimatisch günstig, verbrauchsarm, wasserdicht, angenehm warm und hell sein (dass Le Corbusiers Villen nur hell waren, sei am Rande erwähnt).
Gute Architektur sollte auch heißen: Bezahlbarkeit und Offenheit für unterschiedliche bzw. wechselnde Nutzungsanforderungen. Beides ist unabdingbar für die soziale Brauchbarkeit von Architektur, kommt aber in den zur Zeit geführten Debatten kaum vor.
Die darüber hinausgehenden kulturellen und emotionalen Erwartungen und Wünsche an Architektur sind schwerer zu definieren und zu erfüllen. Sie können wechseln – und aus kulturphilosophisch sonst völlig unterschiedlichen Positionen heraus können die gleichen Erwartungen an Architektur formuliert werden. So stimmt Kenneth Frampton Martin Heidegger in einem zu: Architektur ist die räumliche Ausformung „bewohnbarer Orte“, an denen geistige und körperliche Ruhe zu finden ist. Löst Architektur heute diesen Anspruch ein – will sie ihn überhaupt einlösen?
Wenn man z. B. die architektonische Moderne als eine Bewegung sieht, die über gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Veränderungen unter Nutzung neuer technischer Möglichkeiten zu einer revolutionären Ästhetik gelangte, ist sie eine der großen kulturellen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts.
Dieses „unbeirrbare ästhetische Sendungsbewusstsein“ (Gerd Kähler) verlangte aber auch von den Nutzern straffe Disziplin in der Lebensführung. Die Häuser und Wohnungen –wenn es keine großbürgerlichen Villen waren- boten nur Funktionsräume, keine Spielräume.
Die Architektur der Moderne steht für Transparenz, Helligkeit, Klarheit, technische Vollkommenheit. Tugenden wie Solidität, Vertrautheit, Behaglichkeit, Aneignung durch Veränderung sind dagegen nicht ihr Thema: Yang ohne Yin. Apoll ohne Dionysos.
Die Formensprache der Moderne kann auch nicht mit gesellschaftlichem Fortschritt gleichgesetzt werden; sie ist vielmehr totalitär und erträgt weder Mehrdeutigkeit noch Kompromiss noch Widerspruch. (Es ist doch merkwürdig, wenn der italienische Faschismus ausgerechnet dank Terragnis Casa del Fascio bei Fachkollegen in milderem Licht erscheint....)
Auf der anderen Seite ist eine konventionelle Formensprache nicht per se reaktionär. Wenn sie einher geht mit guter Bauausführung und hochwertigen Materialien, kann sie angemessen und angenehm sein- sonst allerdings ist sie traurig und belanglos. Etwas anderes ist es mit den spekulativen Rückgriffen auf historische Bauformen. Ihr ubiquitärer Einsatz durch die Postmoderne führte zu ihrer Entwertung, die aktuelle Rekonstruktionswelle ist Zeichen einer auch gesellschaftlich bedenklichen Vergangenheitsbesoffenheit. Beides hat m. E. mit Bautradition und Baukultur nichts zu tun.
Architektur findet immer im Hier und Jetzt statt. Deshalb sind auch die Hoffnungen, denen Architektur baulichen Ausdruck geben will, die Hoffnungen der Gegenwart. Ob Architektur tatsächlich die Welt verbessern kann, wissen wir nicht so recht. Eine bessere Gesellschaft herbeibauen - an diesem Anspruch muss Architektur jedenfalls scheitern.
Die Entgrenzung der Städte, die Pluralisierung der (Lebens-) Stile irritiert das avantgardistische Denken: welche Grenzen sollten noch gesprengt, welche Ordnungen bezweifelt werden? Zwar haben mutige Architektenkollegen den Formenkanon, die kanonischen Formen der Klassischen Moderne zerschossen. Daraus wurde aber zunehmend, so scheint es heute, die Flucht ins Spektakel oder die zwanghafte Originalität, bei der man den Eindruck gewinnen kann, die Architektur versucht zu sein, was nach Rilkes Worten das Wesen der Musik ist: Rein. Riesig. Nicht mehr bewohnbar.
Architektur allein, in welcher Qualität auch immer, reicht nicht aus, um eine bessere Stadt zu bauen: „Immer noch gelten Scharouns Philharmonie und Mies van der Rohes Nationalgalerie in Berlin als zwei der besten Bauten des 20. Jahrhunderts. Das sind sie auch, zweifelsohne. Nur für den Stadtraum, für den Kemperplatz, auf dem sie stehen, sind sie keine Jahrhundertlösung. Mit dem haben sie nämlich kaum etwas zu tun. Sie stehen einfach da wie abgeworfen, schön, auratisch, den Rest der Welt ignorierend. Ich erzähle Ihnen das, weil sich an diesem Beispiel symptomatisch zeigt, wie welt- und in diesem Fall stadtvergessen die Architektur oft ist“ (Hanno Rauterberg).
Ob Architektur gut ist, entscheidet sich weniger an ihrem Stil und viel mehr an ihrer Wirkung auf den Stadtraum.


Darstellungen aus: Bauwelt 27-28.09

So kann es für uns Architekten wieder avantgardistisch werden, Sinn für Kontinuität zu entwickeln, Beziehungen zum Umfeld aufzubauen, um den Kontext zum Helfer und Miteigentümer einer besonderen Qualität zu machen.