BILDERSTURM UND SPEKTAKEL

Ich will ein Narr sein. Mein Ehrgeiz geht auf eine bunte Jacke

Jacques
in „Wie es euch gefällt“,
William Shakespeare

Immer wieder wird von Architektenkollegen das Recht auf den größtmöglichen, genauer: den größten denkbaren Eingriff eingefordert. Jede Regelung und Beschränkung, so wird behauptet, wäre ein Angriff auf die Kreativität, auf die Freiheit des Entwerfers.
Was die Entwicklung von Ideen betrifft, ist das richtig. Denkverbote sind immer falsch. Wenn es aber um die Realisierung geht, ist Indolenz gegenüber bestehenden Strukturen fehl am Platz. Auch wenn es lästig ist: wir Planer haben uns mit dem Kontext und mit den geltenden Regeln auseinander zu setzen, auch und gerade um sie weiterentwickeln zu können.
Wenn ordnende Vorgaben für die Stadtentwicklung diskutierbar und veränderbar sind, muss das auch gelten für die Interessen derer, die sich eigener Vorteile wegen darüber hinwegsetzen wollen. Aber: Profit, Ruhm und weltweite Aufmerksamkeit sind schöne Sachen, auf die niemand verzichtet, wenn er sie haben kann. Entsprechend großformatig und einzigartig sind viele Stadtentwicklungsprojekte angelegt.
Dabei machen die Konversionsprojekte in den europäischen Hafenmetropolen oder alten Industrieregionen ein kulturelles Problem deutlich: wie transformiert man ruppige Transport- und Verladeflächen in hochwertige, Image gebende Stadträume, wenn diese als profane Arbeitsorte Jahrhunderte lang den Charakter der Region und das Stadtbild geprägt haben? D. h.: wie transformiert man solche Bereiche; wie schlachtet man die behauptete Romantik einer vergangenen Arbeitwelt aus, um eine „unverwechselbare“ Atmosphäre, bestenfalls eine konkret erlebbare Identität zu schaffen?
Das ökonomische und damit auch politische Problem heißt: wie lassen sich diese Flächen so entwickeln, dass aus ihnen in kürzestmöglicher Zeit maximaler Profit gezogen werden kann?
Barcelona hat seine dreckige Hafenindustrie spurlos beseitigt. Ein kilometerlanger Strand, imponierende und Imponierarchitektur, geschlossene exklusive Wohnanlagen mit hoher Dichte und raffiniert gestaltete Freiräume prägen heute die water-front. Entstanden ist eine ebenso aufwändige wie faszinierende Kultur- und Freizeitlandschaft, als strategisches Projekt zur nationalen und internationalen Aufwertung der Stadt sehr erfolgreich und in diesem Sinne auch Vorbild für die anderen miteinander konkurrierenden europäischen Metropolen.
Zum Beispiel für Hamburgs Hafen-City. Hier überdecken mediterrane Mosaike die hanseatische Kühle der Flächen: Zauberzeichen, die die Sonne des Südens wenn nicht herbeirufen, so doch assoziieren sollen.

Der „Spiegel“ äußerte vor einigen Jahren in einem seiner mit Recht seltenen Artikel über Städtebau Unverständnis darüber, dass der große Kaispeicher A von Werner Kallmorgen ausgerechnet an einer Stelle errichtet wurde, von der man einen wunderbaren Blick auf den Hafen hat.... Man sieht sie praktisch noch vor sich, die Schauerleute, wie sie damals, vor dem Bau des Speichers, in ihrer schweren Gelegenheitsbeschäftigung innehielten, den Blick versonnen über das Hafenpanorama schweifen ließen und „ischa mooi“ murmelten. An ihren vielen arbeitsfreien Tagen kamen die rauen Gesellen gern mit ihren Familien an diese Stelle, mit Thermoskanne und Rundstücken, und erläuterten ihren Kindern die poetischen Implementationen ihrer Arbeit. Nun, der Bau des Kaispeichers hat das leider beendet.
Aber es gibt ja Hoffnung. Denn bald kann der alte Schauermann in der Kuddel-Daddeldu-Lounge der Philharmonie sitzen, die auf dem alten Kaispeicher gebaut wird ...
Überhaupt scheint die spektakuläre Visualisierung dieses Projektes von Herzog & de Meuron der Auftakt für den folgenden eifersüchtigen Wettlauf der Präsentationen von Hamburger Superprojekten gewesen zu sein.
Globale Konkurrenz mit Rotterdam, Shanghai und Dubai, Dubai, Dubai, immer mit den gleichen Bildern? Ein Kritiker hat diese Bilder bezeichnet als „Bereicherungsvisionen in der Maske des kulturellen Wettbewerbs“.
Und alles muss schnell gehen. Für Korrekturen, auch wenn sie notwendig sein sollten, bleibt keine Zeit. Was die Hafen-City betrifft: der Drang zur maximalen Ausnutzung hat zwar teils ansehnliche Architektur, aber eher unwirtliche Stadträume hervorgebracht. Und über den ehemaligen Hafenbecken schwebt nur noch schwach die Aura ehrlicher Handarbeit.

Es ist zu fragen, ob diese Projekte über ihren Werbeeffekt hinaus wirklich etwas für die Stadt selbst bringen, sei es durch ihre Ausstrahlung oder die tatsächliche Vitalisierung städtischer Strukturen. Wenn nicht: Ob es nicht einfach bei den Bildern bleiben sollte, die immer schöner sind als die gebaute Wirklichkeit, „bigger than reality“. Und ob Politiker und Planer sich nicht besser über städtebauliche Erntwicklungsstrategien verständigen sollten, die weniger Spektakel und mehr unauffällige Verbesserungen bewirken?