STADTVERKEHR UND MOBILITÄT

No one denies the place of swiftly moving traffic in the life of a town. It is the universal spread of traffic, the arrogant seizure of all roads, that calls for protest.

Gordon Cullen

Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht von der Zahl ihrer Schnellstraßen ab, sondern davon, ob ein Kind auf dem Dreirad unbeschwert überall hinkommt.

Enrique Penelosa

Diese beiden Zitate – das erste aus 1961, das zweite aus 2008 – zeigen, dass seit fünfzig Jahren mindestens ein Problem unverändert besteht: der motorisierte Verkehr in der Stadt.
Das Auto hat sich längst gelöst von seiner ursprünglichen Bedeutung als technisches Hilfsmittel bei der Fortbewegung. Es ist Symbol des technischen Fortschritts und der technologischen Reife Deutschlands, Synonym für Freiheit und Eroberung des Raumes, saisonaler Modeartikel, Ausweis eines (erwünschten oder behaupteten) sozialen Status´ - und so nicht mehr vernünftig verhandelbar. Schon der Vorschlag, man könne ja auch angemessene und verbrauchsarme Autos fahren, ist anscheinend eine Zumutung. Dass die Deutschen zu einem „Volk von Kleinwagenfahrern“ werden könnten - das scheint eine ganz schlimme Vorstellung zu sein.
Trotz Lärm, Abgasen, Unfällen, übermäßigem Flächenverbrauch, Verkehrsbarrieren, optischer Dominanz der Blechkarossen, Ausdünnung und Verödung von Stadtteilen, Unbewohnbarkeit von Ausfallstraßen: alle Versuche, diese Probleme mit alternativen Mobilitätskonzepten zu verringern, sind bislang gescheitert. Einige Gründe dafür sind oben genannt. Dazu kommt noch das Desinteresse der Politik an wirklich sparsamen Mobilitätsformen, die weniger Investitionen benötigen und weniger Steuern bringen. Folgerichtig setzen öffentliche Investitions- und Subventionsprogramme auf den Bau von Tunneln, Umgehungsstraßen und Bahntrassen, nicht auf die Förderung örtlicher Nahverkehrsnetze oder alternativer Mobilitätskonzepte, nicht auf intelligente Verknüpfung von Verkehrsarten und innovative Technologien, nicht auf Effizienzsteigerung und Energieeinsparung. „Nichts ist erledigt“ mahnt deshalb der VCD und nennt 10 Punkte für eine nachhaltige Mobilitätspolitik.
Aber vielleicht bewegt sich doch etwas. Die fatale Strategie der Bahn AG, den Personenfernverkehr unter radikaler Ausdünnung der Netze auf wenigen Hochgeschwindigkeitsstrecken zu konzentrieren, stößt bei Bahnkunden schon lange, aktuell auch in der Politik auf Widerstand. Gefordert werden regionale Schienenverkehrsnetze, die eine echte Alternative zum Kfz-Verkehr bieten, miteinander verknüpft durch regionale Expresslinien. Einen entsprechenden Vorstoß „Eisenbahn Mitteldeutschland“ haben die drei Bundesländer Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen gemacht - in der Überzeugung, dass ein zuverlässiger, schneller und sauberer Schienenverkehr nicht nur der Umwelt nützt und der Daseinsvorsorge dient, sondern auch ein Standortfaktor im zunehmenden Städte- und Kulturtourismus ist.
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Welches sind nun die Ansätze für eine stadtverträgliche Mobilität? Neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs vor allem Versuche, den Straßenraum neu zu verteilen und verträglicher zu nutzen. Vor ca. 30 Jahren wurden die Verkehrsberuhigten Bereiche eingeführt und haben sich in den Städten insgesamt sehr gut bewährt.
Neu – oder besser: wieder aktuell - ist der Gedanke des „shared space“, der von einem verträglichen Miteinander aller Verteilnehmer auf der gleichen Fläche ausgeht und zur Zeit in Modellversuchen getestet wird.
Das waren und sind wichtige Schritte zur Zivilisierung des Stadtverkehrs. Das Ziel muss aber höher angesetzt werden. Es ist nicht neu, aber zeitlos, und heißt: stadtgerechter Verkehr statt verkehrsgerechter Stadt.
Aber: die komplexe Aufgabe, Verkehr jeder Art in bestehende Stadträume verträglich so zu integrieren, dass diese nicht zu reinen Verkehrsbändern mutieren, ist noch nicht ansatzweise bearbeitet.
Teil einer solchen Strategie ist Verkehrsvermeidung: Nutzungsdichte und Nutzungsmischung schaffen kurze Wege, die umweltverträglich zurückgelegt werden können. Ein wichtiger Handlungsbereich ist die Verbesserung der Aufenthaltsqualität in allen Straßen- und zwar mit Priorität auch gegenüber dem Durchfahrtkomfort.
Weiterhin ist die fußläufige Vernetzung von Stadträumen eine Grundvoraussetzung für die städtische Wohn- und Lebensqualität. Dabei darf auch die, wenn vielleicht auch nur temporäre, Transformation der städtebaulichen Barrieren, den Hauptverkehrsstraßen, kein Tabu sein.

Das Auto kann dabei durchaus weiter eine Rolle spielen. Es wird jedoch nicht mehr so die Stadtstruktur dominieren dürfen, wie es der Städtebau der Moderne propagierte und wie es bis heute Standard ist.
Die effizienten Systeme des öffentlichen Nahverkehrs müssen ausgebaut und optimiert werden. Periphere Vernetzung von Linien und städtebauliche Integration sind wesentliche Zukunftsaufgaben. Technische Maximalforderungen und „Extrawürste“ wie z.B. eigene Gleiskörper dürfen weder zu Lasten anderer Straßenbenutzer noch zu Lasten der stadträumlichen Qualität gehen. Warum müssen Busse und Straßenbahnen immer größer werden? Die optische Präpotenz der Straßenbahn hat Kasseler Architekten veranlasst, diffuses ästhetisch begründetes Unbehagen zu formulieren, die politisch leider nicht ohne Wirkung blieben. Leider: weil in der –ebenfalls diffusen- Diskussion eher die Straßenbahn als Stadtverkehrsmittel grundsätzlich in Frage gestellt wird, als dass nach integrativen Lösungen gesucht wird. Aber gerade das ist nötig.
Ivan Illichs „Narrenlob des Fahrrads“ (1978) ist auch heute nichts hinzuzufügen. Das Fahrrad ist das beste existierende Stadtverkehrsmittel. Leider bringt seine Benutzung keinen Status, leider wird man manchmal nass oder muss schwitzen. Das erste kann sich ändern, das zweite wird leider so bleiben.

Wie lässt sich der Fahrradverkehr in der Stadt fördern? Das Fahrrad ist ein flexibles und anspruchsloses Netzverkehrsmittel. Falsch wäre es daher, den Radverkehr auf bestimmten Routen zu bündeln und diese entsprechend „ideal“ auszugestalten. Leider neigt die deutsche Regelungswut zu starren, richtlinienkonformen (und damit förderfähigen!) Lösungen, die besondere straßenräumliche Qualitäten auch gefährden können- wenn beispielsweise die Neuanlage von Radfahrstreifen das Fällen von Baumreihen oder das Zuasphaltieren von Vorgärten voraussetzt.
Es muss darum gehen, das Verkehrsverhalten auf allen Straßen so zu entwickeln, dass das Radfahren insgesamt ungefährlich ist. Diese Forderung richtet sich vor allem an die Autofahrer. Dann wären viele aufwändige Verkehrsanlagen überflüssig. Von den Radfahrern ist Sicherheit und Rücksichtnahme im Straßenverkehr zu fordern; wer sich nur auf Gehwegen zu fahren traut, sollte besser zu Fuß gehen.
Und dieses zu Fuß Gehen ist eigentlich das Beste, was man in der Stadt machen kann. Man erledigt seine Wege und überprüft dabei die Vorstellungen, die man von der Stadt hat, versucht, das Gesehene mit den Bildern im Kopf zur Deckung zu bringen, praktiziert „Spaziergangswissenschaft“ (Lucius Burckhardt).
Dieses Stadterlebnis, diese Verbindung von Effizienz und Erkenntnis, ist dem Fußgänger vorbehalten, und deshalb müssen alle städtischen Mobilitätskonzepte die Fußgänger in den Mittelpunkt stellen.